Bericht zum Start des werte[netzwerks]

Bericht von Matthias Höhle zum Start des werte[netzwerks] Balance for Business im Hotel Schloss Waldeck am Edersee.

Der Ehrbare Kaufmann – gibt’s den noch?

Spätestens seit der Finanzkrise stellen sich Menschen diese Frage mehr oder weniger bewusst immer öfter. Gleichzeitig wird damit oft der Wunsch verbunden, ihn doch noch anzutreffen und selbst Werte erfolgreich leben zu können, sei es beruflich oder privat. Viele wähnen redliche Zeitgenossen in der Minderheit. Es sei ohne den Einsatz spezieller Testverfahren immer schwieriger, sie aufzufinden. – Und doch: Die Ehrbarkeit lebt!

Deshalb konnte Herr Dipl.-Volkswirt Dr. Wolfgang Fuhr vom werte[institut] in Bad Emstal am Freitag, den 7. Mai 2010 ca. 140 Gäste aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Start des werte[netzwerks] Balance for Business im Hotel Schloss Waldeck am Edersee herzlich begrüßen. Er dankte allen, die ihm engagiert bei den Vorbereitungen geholfen hatten und sich nachhaltig für Werteorientierung einsetzen.

Herr Siegfried Franke von der Wirtschaftsförderung und Regional-Management Waldeck-Frankenberg GmbH gab zunächst einen geschichtlichen Überblick über die Entstehung des heutigen Landkreises Waldeck-Frankenberg. Er würdigte anschließend die Leistungen des verarbeitenden Gewerbes, der Land- und Forstwirtschaft sowie der Tourismusbranche. Ohne Werteorientierung hätten viele Produkte und Dienstleistungen in Familienbetrieben und mittelständischen Unternehmen nicht die ansprechende Qualität. Insofern erfolge der Start des werte[netzwerks] am richtigen Ort.

Herr Dipl.-Kfm. Daniel Klink von der Humboldt-Universität zu Berlin beschrieb in seinem Vortrag "Der Ehrbare Kaufmann" zunächst die schwierige Ausgangslage der wandernden Kaufleute im 11. und 12. Jahrhundert, die als Schutzmaßnahme ihren Zusammenschluss und ein eigenes Rechtssystem notwendig machte. Durch die Einhaltung des Rechts wurde der reisende "Staubfuß" zum "Ehrbaren Kaufmann". Das ethische Verhalten wurde 1340 in Italien im berühmten Handbuch "Practica della Mercatura" in seinen wesentlichen Punkten dokumentiert, sowohl was die zwischenmenschlichen Beziehungen angeht als auch die Beziehung zu Gott. Durch die Beachtung dieser Werte blieb der wirtschaftliche Erfolg nicht aus; die politische Macht der Großkaufleute nahm dadurch zu. In Nordeuropa führte der Zusammenschluss der Kaufleute auf Fernhandelsreisen zur Gründung der Hanse. Der Begriff des "Ehrbaren Kaufmanns" ist bis heute geläufig und entspricht inhaltlich weitgehend dem traditionellen Bild. – In den Wirtschaftswissenschaften hingegen konnte der "Ehrbare Kaufmann" nie wirklich Fuß fassen.

Das Selbstverständnis des "Ehrbaren Kaufmanns" lässt sich über ein Modell von Kreisen darstellen. Die drei inneren Ringe beschreiben den gesamten Charakter des Kaufmanns. Grundbildung und Spezialwissen werden umschlossen von einem gefestigten Charakter, der sich an Tugenden orientiert zur eigenen körperlichen und seelischen Gesundheit, für ein erfülltes Leben mit langfristiger Geschäftstätigkeit. Sie stärken die eigene Glaubwürdigkeit, die das notwendige Vertrauen schafft. Aufbauend auf diesem festen Kern entwickelt der "Ehrbare Kaufmann" ein Bewusstsein für Dinge, die seinen geschäftlichen Erfolg bedingen. Von innen nach außen geht es dabei vom Bewußtsein auf der Unternehmensebene, das den "Ehrbaren Kaufmann" im weitesten Sinne ausmacht, bis hin zum Bewusstsein für die Gesellschaft. All diese Ringe gehören in seinem Verständnis zum Kapital, ohne das sein Erfolg undenkbar wäre.

Herr Klink schlägt vor, zu überprüfen, ob dieses Modell auch in der heutigen Wirtschaftswelt einsetzbar wäre. Zum Beispiel könnte man anlässlich der Finanzkrise einen Fall von Misserfolg in der Finanzbranche untersuchen, inwieweit die Geschäftsbeziehungen des "Ehrbaren Kaufmanns" verletzt wurden. Humanistische Grundbildung ist bei den meisten Akteuren überdurchschnittlich vorhanden. Verstöße gegen folgende Wirtschaftstugenden sind jedoch schnell geschehen: Redlichkeit, Sparsamkeit, Weitblick, Ehrlichkeit, Mäßigkeit, Schweigen, Ordnung, Entschlossenheit, Genügsamkeit, Fleiß, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Reinlichkeit, Gemütsruhe, Freigiebigkeit, Keuschheit und Demut. Das sind die Bestandteile des Tugendbündels des "Ehrbaren Kaufmanns". Die Tugend sorgt für das Gleichgewicht im Wesen des Menschen und ist damit unentbehrlich für die Balance for Business, das Gleichgewicht für die Wirtschaft. Sie ist eine Art inneres kulturelles Geländer, das Vertrauen zwischen dem Kaufmann und seinem Umfeld schafft.

Weiter lässt sich das Verantwortungsbewusstsein gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten, gegenüber Investoren, Wettbewerbern, Konsumenten sowie gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber dem politischen System überprüfen.

Herr Klink schloss mit der Forderung eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses über verantwortungsbewusstes Wirtschaften nach dem Leitbild des "Ehrbaren Kaufmanns". Ein Mitarbeiter muss den ehrbaren vom unehrbaren Chef unterscheiden können, damit sich eine Kultur der wirtschaftlichen Ehrbarkeit in der Gesellschaft stabilisieren kann.

Damit die Geschichte des "Ehrbaren Kaufmanns" nicht nur wie ein Märchen in der Vergangenheit spielt, sondern nach dem Motto „Es wird einmal ...“ auch in Zukunft, stellte Herr Dr. Wolfgang Fuhr, Vorstandsmitglied des Vereins Werte-Förderung e.V. anschließend das international aktive werte[netzwerk] Balance for Business als Plattform für wertebewusste Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft vor. Es ist ein Netzwerk zum Mitmachen, zum persönlichen Wachstum, für beruflichen Austausch, Kompetenzerwerb, gesellschaftliches Engagement, Förderung und Leben "ehrbarer Geschäftsbeziehungen". Es versteht sich als überparteilich, überkonfessionell, interessenunabhängig und sektenfrei und verfolgt keine wirtschaftlichen Eigeninteressen.

Das werte[netzwerk] wird fünf zentrale Werte fördern und unterstützen. Es sind jene entscheidenden Werte, die unsere zukünftige Lebensqualität maßgeblich bestimmen werden:

  • Integrität
  • Verantwortung
  • Nachhaltigkeit
  • Wahrung des Gemeinwohls
  • Handeln geht vor Reden

Die Aufstellung erfolgt über regionale Gruppen, z. B. "werte[netzwerk] Kassel", mit eigener Leitung und einem Treffen pro Quartal. Auf vier Feldern werden die Gruppen eigenverantwortlich aktiv:

  • Förderung von Persönlichkeit und individuellem Wertefundament
  • Werte erfolgreich leben – im Beruf wie im Privatleben
  • gesellschaftliches Engagement
  • knüpfen und pflegen von geschäftlichen Beziehungen in Anlehnung an das Leitbild des "Ehrbaren Kaufmanns"

Grundsätzlich sind Menschen aller Berufsgruppen erwünscht und zugelassen, unabhängig von deren Status, Position und gesellschaftlicher Stellung. Das Bewusstsein, die Selbstverpflichtung und der Wille, sich für die Wertefrage engagieren zu wollen, sind entscheidend.

In den Pausen hatten die Teilnehmer Gelegenheit bei den Themen entsprechender Bewirtung sich kennenzulernen und mit den Referenten Erfahrungen auszutauschen.

Im Abendvortrag "Werte schaffen Wert" beschrieb Herr Dipl.-Volkswirt Sven H. Korndörffer, Vorsitzender der Wertekommission Initiative Wertebewusste Führung e.V. diesen engen Zusammenhang.

Werte müssen ständig betrachtet werden, nicht nur in Krisenzeiten. Dazu gehört außer dem Infragestellen bestimmter betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse auch die der gefühlten. "An dem Tag, an dem die Manager vergessen, dass ein Unternehmen nicht mehr bestehen kann, wenn die Gesellschaft die Nützlichkeit des Unternehmens in Frage stellt, wird die Unternehmung zu sterben beginnen." (Bankier Alfred Herrhausen, 1930-1989) Die Finanzbranche ist deshalb in die Krise geraten, weil ihre Nützlichkeit in Frage gestellt wurde. Deshalb befinden sich Banker derzeit auf den letzten Plätzen der Reputation.

Mitarbeiter sind Teile der Gesellschaft. Deshalb ist das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Mitarbeitern zu überprüfen. Wie ist das konstruktive, wertebasierte Miteinander? Wie ist das, wertgeschätzt zu werden? Ist das überhaupt schon üblich? Egal, wer führt, es ist notwendig, offen zu sagen, was gut und was schlecht ist. Wir haben unbestritten zu wenig Werteorientierung. – Liegt das an einer verfehlten Bildungspolitik?

Alle Anspruchsgruppen eines Unternehmens wollen ein Stück mehr Gewinn. Bisher wurden zu sehr die Shareholder berücksichtigt, weniger die Stakeholder.

Die Wissenschaft ist gefordert, eine Theorie des Vergessens zu formulieren, damit herausgefunden werden kann, wann jene Zyklen wieder einsetzen, die die Märkte steuern.

Der "Homo oeconomicus" hat inzwischen einen Partner bekommen, den "Homo emotionalis". Wir brauchen Manager mit Sozialkompetenz. Am Beispiel Griechenland sehen wir, was geschieht, wenn ein Land nicht vertrauensvoll kommuniziert. Wir müssen deshalb alles daran setzen, damit hierzulande der Ehrliche nicht der Dumme ist.

Wir müssen Mut zur Eigenverantwortung machen, um das operationale Risiko zu minimieren. Wenn nur einer alles weiß, dann droht bei dessen Ausfall Gefahr.

Bei der Führungskräftebefragung durch die Wertekommission sagten im Jahr 2007 noch die meisten, es gäbe kein Wertemanagementsystem. Im Jahr 2009 war dies zwar schon häufiger ausformuliert, aber nicht gelebt. Der gesunde Mensch will überall seine Werte leben können. Er verträgt keine künstliche Trennung von privat und dienstlich. Denn er ist eben nur ein Mensch. Um Werte in beiden Bereichen deckungsgleich leben zu können, braucht er entsprechende Vorbilder.

Anfang 2010 untersuchte die Wertekommission, welche Werte in der Krise wichtig sind. Nach der Krise wird interessant sein, welche sich behaupten konnten.

Die Wertekommission will Führungsverantwortliche herausstellen, die unser Land in der Welt positionieren. Diese vertrauenswürdigen Menschen werden gefragt, warum sie das so machen, wie sie es tun. Wo kommt das her? Es müssen Menschen honoriert werden, die wahrhaftig sind und sich nicht jedem Erwartungsdruck beugen. Herr Sven H. Korndörffer freut sich über seinen größten Erfolg mit medialer Beachtung: Wer keinmal lügt. – "Walk the Talk" ist notwendig. "Wenn ich einmal lüge", so Herr Korndörffer über sich selbst, "dann gehe ich". – Verlieren wir unsere Vorbilder, dann ist ein Gesellschaftswechsel unvermeidlich. Solche Unruhen wie in Griechenland braucht niemand.

Herr Korndörffer unterstrich die Bedeutung folgender Werte:

  • Integrität: Niemand ist unfehlbar. Wir können aber täglich daran arbeiten, integrer zu werden und zu bleiben. Dazu hilft eine breite Bildung für gute und breite Gedanklichkeit.
  • Vertrauen: Es ist die Währung von allem. Es gibt Sicherheit. Hat man es einmal verloren, bekommt man es schwer zurück.
  • Verantwortung: Dabei ist entscheidend, von Anfang an die richtigen Menschen auszusuchen, denen wir Verantwortung übertragen.
  • Mut: Der Mut zur Verantwortung fehlt häufig. Es empfiehlt sich nicht, Menschen innerhalb des Unternehmens zu verschieben. Sie sind mit angemessener Handreichung für ihre Zukunft herauszunehmen, damit sie sich künftig besser verhalten können als in der Vergangenheit.
  • Respekt: Die Grundstimmung im Unternehmen ist sofort zu spüren. Ob zum Beispiel jemand grüßt, hängt freilich auch davon ab, ob er selbst gegrüßt wurde.

Extern und intern müssen Werte deckungsgleich gelebt werden. Der Wertebotschafter ist zuerst die Nr. 1 an der Spitze des Unternehmens. Sie muss Leuchtturmcharakter sein. Dazu kommen die stillen Stars des Unternehmens, die in allen Hierarchiestufen vorhanden sein können. Auch sie haben einen unübersehbaren Strahleffekt ins ganze Unternehmen.

Will sich ein Unternehmen am Markt halten, dann ist permanente Innovation Tradition. Dazu gehört auch, den Heimatstandort nicht verwahrlosen zu lassen.

Eine werteorientierte Unternehmung zeigt Gesicht in wichtigen Medien und sucht den Kontakt mit einflussreichen Menschen. Auf internationaler Ebene gibt es unterschiedliche Denkweisen und Gewichtungen von Werten. Da kann ein Vergleich schon schwierig werden.

Wir brauchen Menschen, die Flagge zeigen und Wertebotschafter sind wie das engagierte Team rund ums werte[institut]. "Wir müssen das, was wir denken, sagen, das, was wir sagen tun, das was wir tun, sein – das heißt Vorbild sein." (nach Bankier Alfred Herrhausen)

In Bezug auf Werte in Krisenzeiten lautet die Quintessenz als bester Schutz, sich permanent auf Werte zu besinnen, um zu permanenter Besinnung zu gelangen – unabhängig von allen Krisen.

Herr Korndörffer schloss mit der Hoffnung, dass das werte[netzwerk] Balance for Business auf Höhe fliegt und wir alle daran partizipieren.